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Entwicklung der zentral-auditiven Verarbeitung

Ein gutes beidohriges Hörvermögen und eine differenzierte Hörverarbeitung sind essenzielle Voraussetzungen, um eine normale Sprachentwicklung zu durchlaufen. Die Hörfähigkeit des Menschen beginnt bereits vor der Geburt und entwickelt sich in den ersten Lebensjahren rasant. Über die Stimme der Eltern werden beim Säugling Gefühle erlebt und erste Verbindungen zur Außenwelt hergestellt. Zunehmend kann das Baby Worte mit einer Bedeutung verknüpfen (Ball, Mama, Papa). Das Sprachverstehen wächst mit einer Erweiterung des passiven Wortschatzes, bis das Kind die ersten Worte und später auch Sätze spricht.

 

Erreichen einer phonologischen Bewusstheit – Herausfiltern von Sprachsignalen aus Nebengeräuschen

Zu einer wesentlichen Voraussetzung für eine normale zentral-auditive Verarbeitung gehört die Fähigkeit zum Herausfiltern von Sprachsignalen bei Nebengeräuschen. Zur eindeutigen Wahrnehmung von Sprachinformationen muss zudem eine sichere auditive Differenzierung ähnlicher Laute (Tanne/Kanne, Blatt/platt) erfolgen. Aber auch Längen- und Betonungsunterschiede in Worten sollten gut unterschieden werden.

Zu dieser sogenannten „phonologischen Bewusstheit“ gehört auch, dass ein Kind aus Wörtern Einzellaute identifizieren (auditive Analyse) oder Laute zu Worten zusammenfügen kann (auditive Synthese). Des Weiteren ist eine gute auditive Merkspanne für den späteren Schriftspracherwerb in der Schule sehr wichtig.

Akustische Informationen werden zur Sprachverarbeitung ins Gehirn geleitet

Die Ohren, also das Außenohr mit Gehörgang, das Mittelohr mit der Ohrtrompete und das Innenohr funktionieren bei diesen Vorgängen wie ein Mikrophon, Schallverstärker und erster Filter. Über den Hörnerv (Nervus vestibulocochlearis) werden die im Ohr gewonnenen akustischen Informationen an das Gehirn weitergeleitet. Hier findet in den verschiedenen Hirnbereichen die eigentliche Sprachverarbeitung statt.

Die zentral-auditive Verarbeitung des Menschen beschreibt die Fähigkeit, die bei gutem peripherem Gehör aufgenommenen auditiven Signale zu bearbeiten, zu filtern und zu interpretieren und damit letztlich Sprache zu verstehen. Oft werden auch Sprachanalyseprozesse (Lauterkennen in Silben, Wörtern und Sätzen; Laute zu Wörtern verbinden) sowie die auditive Merkfähigkeit und auditive Aufmerksamkeit als Teilfunktionen zu der zentral-auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung gezählt.

Die Abkürzung AVWS steht für „auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung“. Sie beschreibt Defizite bei der Analyse von Zeit-, Frequenz- und Intensitätsbeziehungen akustischer Signale und Störungen bei der binauralen (beidohrigen) Interaktion.

Eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit bei Kindern beeinträchtigt die sprachliche und schulische Entwicklung

Die Symptome der AVWS sind vielfältig und die Auffälligkeiten betroffener Kinder äußern sich teilweise auf anderen Ebenen. Grundsätzlich spricht man hier vor allem von Konzentrationsproblemen, motorischer Unruhe, Verhaltensauffälligkeiten, emotionalem Rückzug, Lärmempfindlichkeit und Entwicklungsverzögerung.

Bei Kindern mit Problemen im Bereich der AVWS kommt es im Bereich der Sprache vor allem in der Schule und oft auch schon im Kindergarten zu Auffälligkeiten. Sprachliche Informationen wie Arbeitsaufträge werden in der Schule nicht oder nur unzureichend verstanden. Die Betroffenen müssen mehrfach angesprochen werden und sind durch Nebengeräusche sehr rasch abgelenkt und angestrengt. Zugleich kann eine Lärmempfindlichkeit bestehen.

Kinder mit guten Kompensationsstrategien, können dabei nicht Gehörtes teilweise über das Erfassen der Situation und mit visueller Unterstützung kompensieren, dies ist jedoch mit einer erhöhten Anstrengung verbunden.

Ursachen für eine AVWS können organischer Natur sein – aber auch Veranlagung oder soziokulturelle Einflüsse

Die genauen Gründe für einer AVWS sind nicht eindeutig geklärt. Als mögliche Ursachen gelten organische Gründe, z.B. häufige Mittelohrentzündungen mit Paukenergüssen und temporärer Hörminderung, eine länger andauernde Tubenbelüftungsstörung oder eine Innenohrschwerhörigkeit. Mögliche Ursachen sind aber auch eine familiäre Veranlagung, genetische Faktoren wie eine frühkindliche Hirnschädigung und soziokulturelle Einflüsse wie unzureichende Lernangebote, aber auch Reizüberflutung und übermäßiger Medienkonsum.

Besteht der Verdacht auf das Vorliegen einer zentral-auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung, stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung. Zunächst muss durch objektive und subjektive Tests ein normales peripheres Hörvermögen sichergestellt werden (Hörtest).

Als bedeutendster zentral-auditiver Test wird das Sprachverstehen bei Nebengeräuschen (Hörtestung im Störlärm) untersucht. Anschließend wird mit dem Dichotischen Gehör die beidohrige Sprachverarbeitung getestet. Mit der Prüfung des Richtungsgehörs kann die Orientierung im Raum und die beidohrige Signalverarbeitung gemessen werden. Ergänzend erfolgt die Prüfung der auditive Merkspanne und die Lautdifferenzierung.

Störlärm wird zum Kommunikationshindernis

Wenn Kinder insbesondere bei Störlärm Auffälligkeiten zeigen, dann empfiehlt es sich durch eine spezielle Hörtestung zu überprüfen, ob eine Einschränkung in der auditiven Filterfunktion besteht. Als typische Symptome zeigen sich hier untern anderem, dass die Kinder durch Hintergrundgeräusche schnell abgelenkt sind bzw. dass sprachliche Inhalte bei Nebengeräuschen nicht wahrgenommen werden können. Das Kind muss bei Störlärm vermehrt angesprochen werden – und bei seinen Antworten spricht es sehr laut. Weiterhin zeigen sich vermehrte Lern- und Konzentrationsschwierigkeiten bei erhöhter Lautstärke.

Rückzugstendenzen in Gruppensituationen – das dichotische Gehör könnte beeinträchtigt sein

Neben dem Hörvermögen im Störlärm wird bei der Abklärung auf das Vorliegen einer AVWS das dichotische Gehör überprüft. Als Auffälligkeit in diesem Bereich wird vor allen beschrieben, dass die Teilnahme an Gesprächen in einer Gruppe bei den betroffenen Kindern problematisch ist, da das Sprachverständnis bei Stimmengewirr sowie bei komplexen Inhalten erschwert ist. Die Verständigungsprobleme führen in der Folge zu Rückzugstendenzen in Gruppensituationen bei den betroffenen Kindern

Einschränkungen bei Lautdifferenzierung behindern Rechtschreibung und Textverständnis

Einschränkungen in der sogenannten phonologischen Bewusstheit zeigen sich im Alltag häufig im Rahmen einer Sprachentwicklungsstörung oder erst später, wenn Probleme in der Schule beim Lesen und Schreiben auftreten. So ist das Erlernen der Buchstaben erschwert und es kommt zur Verwechslung von ähnlich klingenden Lauten und Wörtern (Tanne/Kanne, platt/Blatt). Oft werden zusätzlich Reime und Anlaute nicht altersgemäß erkannt. Auch haben die Kinder Probleme, Längen- und Betonungsunterschiede der Laute wahrzunehmen. Zudem zeigen sich Schwierigkeiten beim Leseverständnis und in der auditiven Merkspanne, begründet durch die mangelnde Synthese von Lauten zu einem Wort bzw. durch die fehlende Fähigkeit der Analyse eines Wortes in seine Laute.

Mit der Anwendung von bestimmte Sprachtestungen wie dem Mottier-Test, dem HLAD (Heidelberger Lautdifferenzierungstest) oder dem TPB (Test zur phonologischen Bewusstheitfähigkeit) können die Fähigkeiten der phonologischen Bewusstheit im Einzelnen getestet werden.

Diese Sprachdiagnostik hilft bei der Klärung, ob es sich bei den Auffälligkeiten des Kindes beim Schreiben und Lesen in der Schule um Reste einer Sprachentwicklungsstörung oder um andere Störungen wie eine Legasthenie handelt, die dann jeweils einer entsprechenden Förderung bedarf.

Auditive Merkspanne – Kennzeichen für die Merkfähigkeit von Inhalten, Melodien und Reimen

Für die Sprachverarbeitung spielt die Merkfähigkeit eine große Rolle: Nur durch sie ist eine differenzierte Kommunikation möglich. Bestehen Einschränkungen in diesem Bereich, können Schulkinder sich Aufgaben, insbesondere komplexe Aufträge, nicht merken und sie können längeren Geschichten beim Vorlesen nicht folgen. Als Konsequenz fällt darüber hinaus das Nacherzählen von Erlebtem sehr schwer.

Von einer AVWS kann ausgegangen werden, wenn sich in den Testungen an mindestens zwei verschiedenen Tagen Auffälligkeiten zeigen. Dabei sollte mindestens einer der Tests an einem Vormittag erfolgen, da das Konzentrationsvermögen der Kinder zu dieser Tageszeit höher ist. Die Therapievorschläge werden anhand dieser Testergebnisse erarbeitet und richten sich nach dem individuellen Förderbedarf.

Allgemein kann gesagt werden, dass Verbesserungen in der zentral-auditiven Verarbeitung und Wahrnehmung sich positiv auf die Konzentration, Aussprache, Grammatik sowie das Lesen und Schreiben auswirken.

Logopädische Therapie fördert Hörverarbeitung und Sprachwahrnehmung

Bei einer logopädischen Therapie können die Teilfunktionen der Hörverarbeitung und der Wahrnehmung trainiert werden. Dabei werden sowohl die sprachliche als auch die nicht-sprachliche Ebene berücksichtigt – also zum einen die Förderung der phonologischen Bewusstheit sowie der Merkspanne, zum anderen das Training der auditiven Lautdifferenzierung, des Hörvermögens im Störlärm und der simultanen Sprachverarbeitung.

Zu diesem Zweck werden bei Kindern im Vorschul- und Schulalter gezielte Trainings eingesetzt, die jeweils diejenigen auditiven Teilbereiche fördern, die Defizite aufweisen. Die Therapie kann hierbei in Form einer Einzelförderung erfolgen oder in einer Gruppe stattfinden. Darüber hinaus sollten in jedem Fall die Eltern zum regelmäßigen Üben mit dem Kind zu Hause angeleitet werden.

Computerbasierte Verfahren wie beispielsweise das Hörtrainingsprogramm “Audiolog” lassen sich in der logotherapeutischen Praxis ergänzend einsetzen.

Ruhiges Umfeld ohne Störlärm sowie Förderung durch Lehrer sind entscheidende Maßnahmen

Für Kinder mit AVWS ist eine ruhige Umgebung ohne Störlärm, vor allem beim Lernen oder dem Erledigen der Hausaufgaben, sehr wichtig. Neben dieser Berücksichtigung im Alltag ist eine Beratung von Eltern, Erziehern und Lehrern durch den Sonderpädagogischen Dienst (MSD) empfehlenswert: Hier erhält man beispielsweise Ratschläge bezüglich der Raumakustik.

Weiterhin wirken sich Klassen mit geringer Schülerzahl und das Eingehen der Erzieher und Lehrer auf die Teilleistungsstörung positiv auf die Kompensation der AVWS in der Schule aus.

Lärmschutz-Kopfhörer sowie Funkübertragungsanlagen bieten zusätzliche technische Unterstützung

Das Tragen von Kopfhörern zum Lärmschutz kann in der Schule z.B. bei stiller Arbeit helfen, ablenkende Nebengeräusche auszublenden. Außerdem ist bei großen Problemen mit dem Hörvermögen im Störlärm in manchen Fällen die Verordnung einer Funkübertragungsanlage (FM-Anlage) hilfreich. Mit Hilfe dieser drahtlosen Funktechnologie wird die Stimme des Lehrers über ein kleines Mikrophon direkt auf die Kopfhörer oder Hörgeräte des Kindes übertragen. Dieser Maßnahme hat sich vor allem bei ausgeprägten, anhaltenden Problemen beim Hörvermögen im Störlärm als sinnvoll gezeigt.

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