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Die Diagnosestellung in der Traditionellen Chinesischen Medizin unterscheidet sich erheblich von der Diagnostik der Westlichen Medizin. Während bei der schulmedizinischen Untersuchung der Schwerpunkt auf den technisch erhobenen Befunden liegt, erfolgt die Diagnosestellung in der TCM auf der Basis einer ausführlichen Anamnese sowie den klinischen Befunden, die am Patienten ohne weitere Instrumente erhoben werden können. Durch diese Befunderhebung wird der Mensch in seiner Ganzheit, seinem psychisch-seelischen und organisch-körperlichen Zustand erfasst.

 

Bei der Anamneseerhebung in der TCM interessiert den Arzt neben den akuten und meistens lokalisierten Beschwerden auch das Gesamtbefinden des Patienten. Dabei werden viele körperliche und seelische Symptome und Zustände des Patienten berücksichtigt. So werden u.a. das Temperaturempfinden, der Schlaf, die Verdauung, Schweiße, die Farbe von Sekreten, zeitliche Faktoren und emotionale /psychische Zustände erfragt.

Untersuchung „mit allen Sinnen“

Die Befunderhebung selbst erfolgt traditionell über die „Vier diagnostischen Verfahren“ – Untersuchungsmethoden, die der Arzt mit allen seinen Sinnen anwenden kann: Befragen, Betrachten, Betasten sowie der Befund, der durch Geruch und Gehör erfasst werden kann. Die „Betrachtung“ spielt bei diesem Konzept eine übergeordnete Rolle: Sie beinhaltet auch die Zungendiagnostik. Bei der „Betastung“ ist als besonderes Verfahren die Pulsdiagnostik zu nennen.

Anamnese-Ergebnisse mit Bezug auf TCM-Leitkriterien

Die Ergebnisse dieser Anamnese werden in das Entsprechungssystem der TCM eingeordnet. Dies ist für das Festlegen der richtigen Diagnose im Sinne der Traditionellen Chinesischen Medizin von großer Bedeutung. Üblicherweise werden drei diagnostische Verfahren durchgeführt: die Einordnung der Befunde nach den „Acht Leitkriterien“, die Identifikation von krankheitsauslösenden „Agenzien“ und die Bestimmung der betroffenen Funktionskreise mit ihren Leitbahnen.

Bei der Bestimmung der acht Leitkriterien werden alle Beobachtungen und Beschwerden des Pateinten gewertet, geordnet und strukturiert.  Dieses Verfahren ist die Grundlage jedes diagnostischen Vorgehens.

Algor/Calor – Dynamik der Erkrankung

Algor/Calor beschreibt die Dynamik einer Erkrankung:

Bei Algor-Befunden kommt es zu einer Verringerung der Lebensdynamik mit Befunden wie Blässe, Ruhe- und Wärmebedürfnis, Wortkargheit, reichlichen hellen Sekreten, Durchfallneigung und fehlendem Durst. Der Zungenbelag ist feucht, der Zungenkörper ist blass. Der Puls ist verlangsamt.

Bei Calor-Befunden zeigt sich eine Rötung von Haut-/Schleimhaut, eine Unruhe, Reizbarkeit, erhöhte Temperatur/Hitze mit Durst, gelbliche Sekrete, Neigung zu Verstopfung. Der Zungenbelag ist gelb/braun, z.T. trocken, der Zungenkörper ist gerötet. Es findet sich ein beschleunigter Puls.

Extima/Intima – Tiefenwirkung einer Erkrankung

Extima/Intima gibt Hinweis über die Tiefenwirkung einer Erkrankung:

Oberflächliche (Extima) Erkrankungen sind in der Regel durch äußere Faktoren („Klimatische Exzesse“ s.u.) bedingt. Sie zeigen sich oft mit leichtem Fieber, Frösteln, Kopfschmerzen, verstopfter Nase, dünnem Zungenbelag, oberflächlichem Puls.

Intima-Erkrankungen gehen primär auf die Emotionen zurück. Sie gehen mehr in die Tiefe, haben langandauernden Verlauf, zeigen Symptome wie hohes Fieber, Brust- und Abdominalschmerzen, Übelkeit, gelben, trockenen Zungenbelag. Der Puls ist tief.

Depletio/Repletio – energetischer Zustand

Diese Befunde beschreiben den energetischen Zustand eines Patienten bezogen auf seine individuelle Konstitution. Befindet sich der Organismus des Menschen im Gleichgewicht, so spricht man von „Orthopathie“ (Gradläufigkeit).

Kommt es zu einer Depletio, so zeigen sich Befunde einer Schwächung, einer energetischen Defizienz. Typische Befunde sind Schwäche, Müdigkeit, Antriebslosigkeit, depressive Stimmung.

Bei einer Repletio kommt es zu einer krankhaften Überladung des Organismus. Hier findet sich bei dem Patienten starke Unruhe und übersteigerte Reaktionen.

Yin/Yang – übergeordnete Bewertung

Die diagnostische Einteilung der Befunde nach Yin und Yang, den grundlegenden Normkonventionen des chinesischen Denkens, entspricht einer übergeordneten Bewertung. Sie werden verwendet, um polare Aspekte eines Ganzen zu beschreiben.

Im medizinischen Kontext wird alles Aktive, Bewegende und Dynamische dem Yang zugeordnet. Alles Stoffliche, Materielle und Passive ist dem Yin zugeschrieben. Beides bedingt und beeinflusst sich gegenseitig. Gesundheit entspricht in diesem Denken einem ausgewogenen Verhältnis der Polaritäten.

Als nächster Schritt in der Diagnosestellung der TCM erfolgt die Bestimmung eines eventuell vorhandenen krankheitsauslösenden Agens. Damit werden alle Faktoren bezeichnet, die Krankheiten auslösen können. Ist der Mensch gesund, befinden sich sein Organismus und auch seine Seele/Psyche im Gleichgewicht, seine Regulations- und Abwehrfähigkeit ist unversehrt. Dieser Zustand wird Orthopathie genannt.

Orthopatische Energie ins Gleichgewicht bringen

Den Faktor, der die orthopathische Energie aus dem Gleichgewicht bringt, nennt man Heteropathie (Schrägläufigkeit). Damit wird häufig eine exogene, aber auch endogene krankheitsauslösende Ursache beschrieben. Bei der Identifikation der Störfaktoren werden bei der Diagnosestellung äußere und innere sowie neutrale Agenzien unterschieden.

Äußere Agenzien sind häufig „Klimatische Exzesse“ mit durch äußere Anlässe ausgelösten Erkrankungen, z.B. Erkältungen, Allergien, Infektionen. Innere Agenzien sind häufig übermäßige und daher schädigende Emotionen. Mit den neutrale Agenzien werden vor allem diätetische Fehler mit übermäßiger Fehlernährung, Schlafmangel, Überarbeitung, Konsum von Drogen wie Alkohol und Zigaretten, aber auch äußere Verletzungen beschrieben.

Mit äußeren Agenzien werden von außen auf den Menschen einwirkende Faktoren beschrieben, die eine Erkrankung auslösen.
Solche auch als Heteropathie bezeichnete Faktoren können Viren oder Bakterien sein, es kann sich aber auch um starke Zugluft mit folgender Nackenverspannung oder schädigend einwirkende Kälte handeln.

Ventus

Der Patient bietet ein Bild, „als ob er in den Wind gekommen wäre“. Äußere Windschädigungen zeigen sich in Kopfschmerzen, verstopfter Nase, Tränenfluss, geröteten Augen, Halsschmerzen, Hüsteln und Schüttelfrost. Typisch sind wechselnde, z.T. umherwandernde Beschwerden. Zusätzliche Windzeichen sind wandernde Schmerzen, Gelenkbeschwerden, Verkrampfungen und Paresen, Exantheme und Juckreiz sowie rötliche Punkte auf der Zunge.

Algor

Nach einer Schädigung durch Kälte finden sich Symptome wie schweißloses Fieber, Kopf- und Nackenschmerzen, diffuse Körperschmerzen, Krämpfe, kalte Extremitäten. Bei Vordringen in die Tiefe: Bauchschmerzen, Durchfall, Erbrechen, blasser Zungenkörper, feuchter Belag der Zunge.

Humor

Eine Feuchtigkeitsbelastung zeigt sich im Körper durch Benommenheit, verstopfte Nase, Verschleimung der Atemwege, Völlegefühl, Appetitverlust, Übelkeit, Durchfall, Schwellungen und Ödeme, Ausfluss und Schweiße. Dabei klagen Patienten über starke Müdigkeit und Abgeschlagenheit.
Das Entstehen von Feuchtigkeit ist ein Zeichen für eine mangelnde Klärkraft des Funktionskreises „Mitte“. Bezogen auf die Ernährungsweise ist „die Trennung des Klaren von dem Trüben“ reduziert.

Aestus

Aestus wird übersetzt mit „drückender Sommerhitze“. Hier kommt es zu einem Verbrauch von Qi und Yin und es werden Symptome wie Trockenheit, Fieber, Benommenheit, Atemnot, massive Schweiße, starker Durst sowie ein tiefroter Zungenkörper und gelber Zungenbelag beschrieben.

Ardor

„Die große Trockenheit“ wird in kühle und warme Trockenheit unterschieden. Allgemein zeigen sich Symptome wie trockene Schleimhäute, Durst und Verstopfung.
Bei der kühlen Trockenheit finden sich leichte Kopfschmerzen, Schüttelfrost, Schweißlosigkeit, Husten, Halsschmerzen und eine verstopfte Nase. Bei der warmen Trockenheit sind dagegen Fieber mit Schweißbildung, Halsschmerzen, Hustenreiz, Schmerzen über der Brust und geringer, zum Teil blutig-schleimiger Auswurf zu beobachten.

Die sieben Emotionen werden dann zu „Inneren Agenzien“, wenn sie übermäßig und unkontrolliert den Menschen beeinflussen.
Sie können Krankheiten induzieren und haben insbesondere Auswirkungen auf die Bewegung des Qi.

Voluptas

Freude und Lust werden dem Funktionskreis Herz zugordnet. Als pathologisches Agens wird vor allem das übermäßige Ausleben der Emotion gemeint. Klinisch finden sich dann eine Erschöpfung, eine Ruhelosigkeit bis hin zur Agitiertheit, Herzklopfen, Druck/Schmerzen über der Brust, Schwindel, Brechreiz aber auch Geschwürbildung im Mund und Hitzegefühle.

Ira

Die Emotion Zorn und Erregung wird dem Funktionskreis Leber zugeordnet. Übermäßige Erregung und Zorn stören daher vor allem den harmonischen freien Fluss des Qi. Es kommt zu Symptomen wie emotionale Unausgeglichenheit, Frustrationsgefühle, Depressionsneigung, aber auch Reizbarkeit und Wut. Körperlich findet sich eine Vielzahl von Beschwerden wie Verspannungen, Magen-Darm-Symptome, Halsbeschwerden sowie Kopfschmerzen oder Störungen in der genitalen/gynäkologischen Region.

Solicitudo

Die Emotion Sorge, Besorgtheit kann den Funktionskreis Lunge belasten. Hier kann es zu einer Störung der Atmung mit Husten und Kurzatmigkeit, aber auch zu gehäuften Infekten, Schweißneigung, Trockenheit und zäher Verschleimung sowie Hals- und Kopfschmerzen, Abgeschlagenheit und Depression kommen.

Cogitatio

Das Nachdenken und die Emotion des Grübelns werden dem Funktionskreis Mitte zugeordnet. Mit der Integrationskraft der Mitte kann nicht nur stoffliches (Nahrung), sondern es können auch Gedanken und Gefühle geklärt werden. Ein Zuviel an zu Klärendem (Grübeln, schwer verdauliche Nahrung) schädigt die Mitte. Dies führt klinisch vor allem zu Bauchbeschwerden mit Völlegefühl, Appetitlosigkeit, Brechreiz, Durchfallneigung, Gewichtszunahmen, Schwäche und Verschleimung. In psychischer Hinsicht zeigt sich dies auch in einer Entscheidungsschwäche.

Maeror

Die Trauer wird dem Funktionskreis Lunge zugeordnet. Das normale Trauern ist zur Verarbeitung von schmerzhaften emotionalen Ereignissen sehr wichtig. Bei übermäßigem Trauern dagegen wird der Funktionskreis Lunge beeinträchtigt und geschwächt. Typisch sind Teilnahmslosigkeit, Erschöpfung, Gesichtsblässe und Kurzatmigkeit.

Timor

Furcht und Angst hemmen alle Lebensäußerungen und führen zu einer Lähmung der inneren Bewegungen. Diese Emotion wird dem Funktionskreis Niere zugeordnet. Es kommt zur Verzagtheit, Phobien, Rückzugsverhalten und diffusen Ängsten.

Pavor

Ein tief gehendes Schreck- oder Schockerlebnis blockiert den Qi-Fluss und beeinträchtigt die Funktionskreise Niere und Herz. Solch eine tief gehende Angst, ein Trauma, kann sich emotional sehr intensiv einprägen. Es können sich in der Folge im Äußeren Verwirrung und widersprüchliche Handlungen, aber auch das plötzliche Ergrauen der Haare, Schlafstörungen und Herzklopfen zeigen.

Wenn die Lebensführung des Menschen zu Erkrankungen führt, werden diese Heteropathien als neutrale Agenzien bezeichnet. So ist oft ein Zuviel (Essen, Alkohol) oder ein Zuwenig (Schlaf, Pausen) der Grund, dass die Orthopathie gestört ist. Eine ausgewogene Lebensführung ist für ein gesundes, kraftvolles und langes Leben unerlässlich.

Diätetische Fehler

Übermäßiges, unregelmäßiges und einseitiges Essverhalten führen primär zu einer Störung der Funktionskreise Milz und Magen (kurz „Mitte“ genannt). Die aufgenommene Nahrung kann nicht mehr ausreichend verdaut und geklärt werden. Als Folge können klinisch Feuchtigkeit, Verschleimung, entzündlicher Schleim (feuchte Hitze) oder auch Übergewicht entstehen.

Überanstrengung

Körperliche wie auch geistige Überanstrengung ohne ausreichende Regenerationsphasen verbrauchen die Lebensenergien, das angeborenen Struktivpotenzial, übermäßig. Lange andauernde Verausgabung führt daher zu einer vorzeitigen Alterung und macht anfällig für andere Agenzien mit z.B. Infektanfälligkeit, Erschöpfung, Konzentrationsproblemen und emotionaler Labilität.

Bewegungsmangel

Bewegungsmangel führt insbesondere in Verbindung mit innerer Anspannung (Stress, innere Agenzien) zu einer Blockade von Qi und Xue. Regelmäßige körperliche Bewegung hilft dagegen dem freien Fluss der Energien und löst körperliche wie emotionale Anspannung. Entsprechend verstärkt Bewegungsmangel Stagnationen im Körperlichen und verursacht Gewichtsprobleme, Schwäche, Schmerzen und emotionale Unausgeglichenheit.

Schlafmangel

Ein andauernder Schlafmangel verbraucht das Yin. In der Folge kommt es zu einer Erschöpfung und einem relativen Überwiegen der aktiven Kräfte Qi und Yang mit Unruhe, Gereiztheit oder Konzentrationsproblemen.

Äußere Verletzung

Auch äußere Verletzungen werden zu den neutralen Agenzien gezählt. Sie führen zu einer Blockade, Schmerzen und häufig auch zu einer Schwellung der betroffenen Region.

In der dritten Stufe des diagnostischen Verfahrens werden die erhobenen klinischen Befunde den verschiedenen Wandlungsphasen und ihren Funktionskreisen und den entsprechenden Leitbahnen zugeordnet.

Wandlungsphasen

Die fünf Wandlungsphasen (Metall, Erde, Feuer, Wasser, Holz) sind eine Differenzierung des grundlegenden gegenpoligen Paares Yin und Yang. Sie haben eine wichtige Bedeutung, beschreiben sie doch die Funktionen und Phänomene der verschiedenen Körperbereiche aus einer energetischen Betrachtungsweise.

Jeder Wandlungsphase wird ein Yin-Funktionskreis und ein Yang-Funktionskreis zugeordnet.

Funktionskreise

In der TCM werden fünf Yin-Funktionskreise unterschieden: Lunge, Milz, Herz, Niere und Leber. Die zugehörigen Yang-Funktionskreise heißen: Dickdarm, Magen, Pericard, Blase und Gallenblase.

Der Name der Funktionskreise ist bildhaft zu verstehen. Die Funktionskreise sind daher nicht gleichbedeutend mit den Organen, nach welchen sie emblematisch benannt werden. Sie liegen im Körperinneren im Gegensatz zu den zugeordneten Leitbahnen, die an der Oberfläche verlaufen.

Leitbahnen

Die chinesische Medizin kennt zwölf Hauptleitbahnen, die symmetrisch auf dem Körper verlaufen. Häufig werden dazu die beiden auf der Mittellinie des Körpers liegenden Leitbahnen gezählt. Außerdem verdichtet sich das letztlich den Körper überziehende Leitbahnennetz durch Leitbahnzweige, unpaarige Leitbahnen, Netz- und Muskelleitbahnen. Auf diesen Leitbahnen liegen an genau definierten Stellen die verschiedenen Akupunkturpunkte.

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